Startschuss.
Alle liefen los, jeder bemüht, sofort auf die Innenbahn zu kommen.
Ihn nannten sie Obelix nannten, doch jeder schien entweder einen
Antrittsschritt mehr oder längere Schritte zu haben oder … Nichts
davon. Obelix bremste einfach unbewusst seine Massen. Damit er
niemandem als Hindernis vor die Nase liefe und die anderen zusätzlich
Kraft kostete. Sie würden ihn sowieso oft genug überholen. Früher
oder später, aber spätestens nach der ersten Runde hätte er seinen
Platz. Von den 30 gestarteten Jungen der beiden Klassen den letzten
ohne Chance, vorübergehend im Windschatten eines anderen sich einen
Moment auf dessen Hacken zu konzentrieren. Diese Art der Ablenkung
stand ihm nicht zu. Weit abgeschlagen würde er einsam im Rücken
aller vorwärts rollen. Niemand sah ihn so, lästerte wieder. Außer
dem Sportlehrer vielleicht, aber der stand auf der anderen Seite des
Platzes.
Jeder
normale Sportplatz war überall rund, richtiger oval, und es gab
keinen Punkt, an dem man seinen Zwischenstand bestimmen konnte. Man
hatte nur den Vordermann oder den keuchenden Atem der Verfolger.
Obelix hatte beides nicht. Anders auf diesem alten Platz. Hier konnte
Obelix den Kopf an der ersten Ecke heben und an der zweiten und der
dritten, und jede Ecke verriet ihm, dass er ein, zwei, drei Viertel
der ersten Runde geschafft hatte. Nein, diesmal würden sie ihn nicht
neben der Bahn liegen sehen wie einen Fettfleck. Sie würden ihn
nicht in der Hofpause danach verspotten. Dafür war er nämlich
nütze, dass die anderen lachten. Heute nicht. Heute würden sie
nicht lachen. Er würde die ganzen 30 Minuten laufen. Vielleicht noch
die letzte Runde, nein, bestimmt die letzte Runde beenden. Dann
würden sie ihn nicht hänseln, ob er seinen Schwanz sehen könne
unter der Dusche. Was ging es sie nur an? Es war sein Bauch, sein
Schwanz …
Eine
ganze Runde war geschafft. 30 Runden würde er nicht schaffen, nicht
28, 24, 20, aber mit 14 wäre seine Leistung nicht mehr ungenügend
wie sonst immer. Sonst war er glücklich gewesen, wenn er hatte
„Seitenstechen!“ rufen können, man ihm die Schmerzen ansah und
das das Aufgeben entschuldigte. Aber meist musste er eingestehen:
„Ich kann nicht mehr!“ Keiner verstand, dass seine Beine nicht
nur schwer waren und immer schwerer, die Herzschläge so laut, dass
er kaum etwas anderes hören konnte, die Lunge nicht den nötigen
Sauerstoff heranschaffte, er Kreise sah, Punkte, Farben vor Augen,
die garantiert nicht da waren, er schwankte, sich hinwerfen wollte
und sich nicht traute, denn er würde wieder aufstehen müssen und …
dann sah er in den Augen derer, die ihn dabei beobachteten, nur eine
Diagnose: FETT!
Das
siebte Viertel begann. Die Beine hatten sich in Klumpen verwandelt.
Wie Blei sagte man. Warum eigentlich? Die Dichte von Gold war doch
viel höher. Warum fand niemand das lyrisches Bild, dass ihn die
Beine wie ein riesiger Klumpen Gold auf den Boden zogen. Obelix fand
es und er wusste, dass er davon niemandem erzählen würde, obwohl es
war doch ein schönes Bild, sich vorzustellen, viele Kilo Gold hingen
an ihm und er schleppte sie ins Ziel, wenn er sich bis ins Ziel
schleppte.
Das
achte Viertel. Nun ging es los. Obelix hörte das erste Keuchen
hinter sich. Er war im Weg. Zeit, in eine der Mittelbahnen
auszuweichen. Bei ihm kam es nicht so darauf an. Die ihn jetzt
überholten, hofften noch auf eine gute Zeit. Er … durfte sich
nicht einmal für einen Moment in den Windschatten eines der
Schnellen kugeln, denn damit behinderte er ja die nächsten, die ihn
auch überholen mussten. Hauptsache, er hielt einen, also seinen
Rhythmus durch. Nicht schlapp machen! Gut gesagt – er WAR schlapp.
Manche
Frösche oder Kröten hatten so komische Säcke, die sie aufpumpen
konnten, bevor sie ihre Geräusche ausstießen, quakend, zitternd,
lebensbegierig. Obelix kamen seine Schläfen so aufgepumpt vor. Würde
er jetzt gleich zu quaken beginnen? Oder eher wie der verzauberte
Prinz an die Wand, also praktisch auf den Platz geklatscht werden? Er
hatte nicht mitgezählt, wer ihn alles überholt hatte. Es wahr wohl
die elfte Gerade, als ihn die Ersten zum zweiten Mal überholten.
Einmal aufblicken. Die dreißig Jungen hatten sich zu Grüppchen
verklumpt. Zu zweit, zu dritt, ja, sogar zu fünft sich moralisch
aneinander festhaltend. Nur Kalle und der Tiger überrundeten für
sich allein.
Detlef
und Ticke legten eine Pause ein. Ein paar Schritte, als spazierten
sie hinterm Ziel, vorbeugen, strecken ... Dann liefen sie wieder
weiter. Sollte Obelix auch …? Nein! Er wusste: Einmal nur und er
würde nicht wieder loslaufen können. Jede Sehne lauschte auf das
Kommando AUFHÖREN. Nein! Er würde nicht aufgeben!
Nur
nein zu sagen ist eine schwache Energiequelle. Der Sportlehrer zeigte
Obelix eine 5 und rief noch 15 Minuten. Aber das galt wohl eher den
beiden, die gerade zum Überholen ansetzten. Obelix fehlte die Kraft,
wie üblich in die Mitte auszuweichen. Die beiden aus der
Nachbarklasse merkten es nicht. Sie umliefen ihn wie ein bewegliches
Hindernis …
Die
Müdigkeit hatte nun auch andere Goldbeine erreicht. Obelix sah von
weitem noch wie eine Dampfwalze aus oder ein Stier. Arme angewinkelt,
Kopf vorgebeugt. Doch er war kaum schneller als andere beim Wandern.
Wer hätte schon bei ihm hingesehen. Welches Mädchen beobachtete
schon einen Jungen, um sich über seine vergeblichen Mühen zu
amüsieren und über den Schweiß, der bei ihm in stärkeren Strömen
floss. Es war zum Heulen und eigentlich, wenn man nahe genug
herangekommen wäre, hätte man es gesehen: Der Junge, den sie alle
Obelix nannten, heulte wirklich, hilflos und im Bewusstsein, dass es
sowieso niemand bemerken würde.
Die
30 Minuten waren fast um. Drei Mitschüler hatten zwischendurch
aufgegeben. Sie lagen am Rande der Bahn. Der Sportlehrer winkte
heraus heraus, wer an ihm vorbei wollte. In den Restsekunden war
keine Runde mehr zu schaffen. Obelix erwischte das Ende der Zeit am
Wendepunkt nach dem zweiten Viertel einer Runde. Wahrscheinlich war
keiner mehr hinter ihm. Wenn er jetzt in langsamen Spazierschritt
verfiele, würde es nur den wartenden Sportlehrer stören.
Beschimpfte ihn der nicht immer? Zwei Jungen vor Obelix hatten die
Situation genauso gesehen. Sie schlenderten ihre Restrunde. Wie oft
mochten sie ihn zuvor überholt haben? Egal. Nun walzte er an ihnen
vorbei. Auf der Mittelbahn wie bei ihm üblich.
Ein
Viertel noch. Ecky vor ihm konnte sich nicht entscheiden. Fünf
Schritte Trab, fünf Schlendergang, dann Schwung … Obelix hatte den
Jungen einen Moment fixiert, abgeschätzt, er könnte es schaffen. Er
stampfte auf, trat auf den Untergrund, als wollte er den für alle
Demütigungen bestrafen, die andere ihm bereitet hatten. Obelix
merkte, dass er entgegen jeder Vernunft beschleunigte. Er kam seinem
Vordermann näher, näher, immer näher …
Es
mochten die letzten drei Meter sein, auf denen er, Obelix, an Ecky
vorbeizog. Begeistert riss er die Arme hoch. Sieg! Er war sozusagen
auf Platz 24 eingekommen, denn sechs andere hatte er am Schluss noch
überholt, mochten die ihn vorher auch überrundet haben. Nur
undeutlich vernahm Obelix die Stimme des Sportlehrers: „Schade!
Eine Runde fehlt. Du hast es wieder nicht geschafft ...“
Slov ant Gali