Montag, 4. Juni 2012

Über Dichter


Slov ant Gali: Windflüchter

In einem alten Fischerboot trafen sich zwei Dichter, um sich an einem gemeinsamen Nachmittag versonnen von den Erlebnissen eines quälenden zurückliegenden Jahres zu erholen. Sie hatten die Paddel auf den Bootsboden gelegt und gaben sich schweigend dem Blick auf den Strandabschnitt hinter ihnen hin. Welch menschlich tiefe Metapher, dachte der eine: Bedrängt von feindlichen Lebensstürmen wird unser Leben gebeugt, wendet sich ab von der peitschenden Übermacht der feindlichen Kräfte. Jeder Tag könnte der letzte sein, an dem es uns bricht. Und doch: Was sollen wir tun? Gerade an dieser so wenig geeigneten Stelle haben wir Wurzeln geschlagen, bevor wir es bedenken konnten und müssen unser Wachstum dem Wind abtrotzen. Gramgebeugt werden wir alt, doch das Wissen, dass über uns die Sonne Licht verstreut, strecken wir ihr unsere hungrigen Blätter entgegen in Wind und Kälte und Regengepeitsche wie in den Pausen, in denen wir mit dem eingeschlafenen Meer zusammen lachen, das wir doch lieben, obwohl wir uns von ihm abwenden müssen. Wie schön, denkt der zweite: Noch in solcher Ferne zeichnen die Risse in der Rinde Muster, riecht man die salzige Luft, die diesem Baum seine waldfremde Form gegeben hat. Das Grün ist anders von Blatt zu Blatt und doch so frisch, weil nur kräftige Zweige sich dem Singen der Sommerregen entziehen konnten. Verkrüppelt und stark zugleich. So sehen die beiden Dichter denselben Baum und doch einen anderen und ihre Gedanken beginnen die Farbpalette der Worte zu mischen und Gedichte zu malen, die klingen werden, als wären sie in verschiedene Welten gereist. Ein Baum ist es gewesen und zwei Lyrikbände füllten sich in schweigender Stunde. So verschieden die beiden sind, so sind sie doch wahr. 

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